Lebende Verluste und die Kraft des gemeinschaftlichen Trauerns
- Janna Rehbein
- 19. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Lebende Verluste und die Kraft gemeinschaftlicher Trauer
Nicht jeder Verlust hat ein klares Ende. Manche Verluste sind schleichend, leise, schwer zu benennen. Sie hinterlassen keine Grabsteine, aber tiefe Spuren in uns. Es sind lebende Verluste – Verluste von Menschen, Verbindungen, Gewissheiten, oder sogar Teilen unserer Welt, die noch da sind, aber nicht mehr so, wie sie einmal waren.
Ein Mensch lebt – aber durch Krankheit oder Demenz ist er kaum wiederzuerkennen. Eine Freundschaft besteht noch auf dem Papier, aber nicht mehr im Herzen. Eine Partnerschaft zerbricht, obwohl beide noch da sind. Kinder gehen, brechen den Kontakt ab, und obwohl sie irgendwo leben, sind sie für uns unerreichbar. Auch das ist Trauer – für etwas, das weiterlebt, aber nicht mehr erreichbar ist.
Und diese Form von Verlust reicht über das Persönliche hinaus. Wir verlieren auch als Gesellschaft: unsere Sicherheit, unsere Selbstverständlichkeiten. Die Klimakrise, politische Spannungen, Pandemien oder Kriege rauben uns das Gefühl von Stabilität. Und mit jeder verschwundenen Art, jedem trockenen Flussbett, jedem still gewordenen Wald spüren wir: Auch die Natur, die uns getragen hat, verändert sich unwiderruflich. Viele Arten sterben und mit ihnen

ein Teil von dem, was uns verbunden und lebendig gemacht hat.
All das kann schmerzen – auch wenn es kein sichtbares Ende gibt. Diese Trauer hat oft keinen Platz, keine Rituale, keine Worte. Aber gerade dann ist es wichtig, dass wir sie nicht allein tragen müssen.
In Gemeinschaft zu trauern heißt, gesehen zu werden. Es heißt, die eigene Verletzlichkeit zu zeigen, ohne erklären zu müssen, warum sie „gerechtfertigt“ ist. Es ist die Einladung, unsere Verluste – ob persönlich, gesellschaftlich oder ökologisch – zu teilen. Denn geteilte Trauer wird nicht kleiner, aber sie wird tragbar.
Gemeinsame Trauer schafft Verbindung. Sie lässt uns erkennen, dass wir nicht allein sind mit dem, was fehlt. Dass auch andere um eine Zukunft trauern, die nicht mehr so aussieht, wie wir sie uns erhofft haben.
Und in dieser Verbundenheit liegt eine Kraft. Vielleicht ist sie nicht laut oder lösungsorientiert. Aber sie ist lebendig- Und manchmal reicht das: Zu wissen, dass unser Schmerz Raum haben darf. Dass Trauer nicht still sein muss. Und dass in der Gemeinschaft auf Zeit etwas bleibt, auch wenn so vieles verloren geht – nämlich wir füreinander.
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